Kraftvolle Farben, klare geometrische Formen und zierlich bis üppige Muster zeichnen die Miniaturmalereien der indischen Region Bundelkhand aus. Südlich der Städte Delhi und Agra gelegen, entstanden an den fürstlichen Höfen von Orchha, Datia und Panna höchst aussergewöhnliche Meisterwerke der indischen Malerei. Sie gewähren einen tiefen Einblick in die künstlerische Praxis und Stilentwicklung vor den kulturellen und politischen Hintergründen der Region für die Dauer von drei Jahrhunderten bis ins 19. Jahrhundert. Als einziges Museum ausserhalb Indiens erhält das Museum Rietberg mit der Schenkung von Eva und Konrad Seitz eine einzigartige Sammlung von Werken dieser Art und kann diese bewegte Geschichte anhand einer Ausstellung zeigen.

Die Maler in Bundelkhand konzentrierten sich in ihren Motiven weitgehend auf klassische Themen der indischen Kunst: Sie stellten die Visualisierung von religiösen Texten sowie Liebesdichtungen in regionalsprachlichen Versionen ins Zentrum ihres Schaffens und verbanden so in ihren Werken das hinduistische Ideal der Hingabe (bhakti) auf unvergleichliche Weise mit künstlerischer Ästhetik. Das in der indischen Kunsttheorie vorherrschende Prinzip von rasa (deutsch: Geschmack, Stimmung, Essenz oder Saft) und die Frage, wie dies auf den Betrachter oder die Betrachterin eines Bildes übertragen werden kann, stand für die Maler dieser Kunstregion stets an oberster Stelle.

Am Beginn der Malereigeschichte in Bundelkhand stehen vier Bilderserien, die Ende des 16. Jahrhunderts entstanden. Zunächst öffneten sich die Malerkünstler ersten Einflüssen der Mogulmalerei. Politische Konflikte mit dem Mogulherrscher Shahjahan bewirkten jedoch eine Rückkehr zum Gründungsstil. Durch den Zerfall der Herrschaft in Orchha spaltete sich die künstlerische Produktion in zwei unterschiedliche Stile: In Orchha entwickelte sich auf der Basis der frühen Malerei ein expressiver und ornamentaler Stil mit originellen Bildkompositionen. In Datia hingegen, dem Exil der politischen Elite, verstärkte sich der Einfluss der Mogulmalerei und die Maler illustrierten vermehrt Sanskrit-Dichtung. Damit entstand eine einmalige Kombination aus mogulisch beeinflussten Figuren und abstrakten Hintergründen, wie sie typisch für Bundelkhand sind.

Während Jahrzehnten wurde vermutet, dass diese Bilder von wandernden Malerfamilien im Gebiet von Malwa (südöstlich von Rajasthan) stammen. Konrad Seitz hat bereits 2015 in seiner zweibändigen Publikation «Orchha, Datia, Panna. Miniaturen von den rajputischen Höfen Bundelkhands 1580 – 1820» und anhand seiner eigenen umfangreichen Sammlung dargelegt, dass diese sogenannte «Malwa-Schule» nicht nur geografisch anders verortet werden muss – eben in Werkstätten an den Höfen von Bundelkhand, – sondern auch zeitlich rund eine Generation früher zu datieren ist. In der Ausstellung wird erläutert, wie solche kunsthistorischen Zuschreibungen und Kategorien entstehen und sich verändern. Dazu erscheint das Werk von Konrad Seitz in überarbeiteter und ergänzter Form auf Englisch. Die Ausstellung nimmt dies zum Anlass, das neue Werk, Konrad Seitz' Forschung sowie die Schenkung der Bundelkhand-Bilder von Eva und Konrad Seitz an das Museum Rietberg erstmals der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.




[ACTIVATION_LABEL]